Baukästen

Eine kleine Kulturgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute

Unternehmen Sie anhand von selten gezeigten Objekten aus dem Depot des Stadtmuseums Berlin exklusiv online einen Streifzug durch die Geschichte der Baukästen von den Anfängen im 19. Jahrhundert bis heute.

Seit fast zwei Jahrhunderten sind Baukästen aus Berliner Kinderzimmern nicht mehr wegzudenken. So finden sich verschiedene Exemplare auch in der Sammlung des Stadtmuseums Berlin. Sie zeugen spielerisch von einer teils rasanten Entwicklung des technischen Fortschritts – und von starren Rollenbildern, die sich im Verlauf der Geschichte immer wiederholen.

Die Anfänge der Baukästen

Die ersten „Bauklötze“, zunächst noch in einfachen Formen wie Würfeln aus Holz, wurden von dem Pädagogen und Naturwissenschaftler Friedrich Fröbel (1782 – 1852) entwickelt, dem Begründer des gleichnamigen Kindergartens. Bis ins 19. Jahrhundert hinein hatten Kinder überwiegend im Freien gespielt. Mit den Bausteinen hingegen sollte nur im Haus gespielt werden. Im Unterschied zu heute durften sich die Kinder damals jedoch nicht frei im Spiel entfalten.

Holzbaukasten „Angenehme architectonische Unterhaltungen“, 1. Hälfte 19. Jahrhundert © Stadtmuseum Berlin

Gespielt werden sollte nur unter Anleitung eines älteren Kindes oder eines Erwachsenen (1) – eine Ansicht, die viele Pädagogen des 19. Jahrhunderts vertraten, darunter auch Johann Heinrich Pestalozzi (1746 –1827). Seiner Auffassung nach sollten Kinder schon im frühesten Alter viel lernen. So schrieb er, „[...] die Kinder bedürfen in ihrem frühesten Alter eine psychologische Führung zur vernünftigen Anschauung aller Dinge.“ Schon ein dreijähriger Junge wurde spielerisch von ihm unterrichtet (2). Doch während entsprechend den überlieferten Geschlechterrollen Puppen den Mädchen und Zinnsoldaten den Jungen vorbehalten waren, konnten alle Kinder mit den Bausteinen spielen. So waren in den 1830er- bis 1850er Jahren auf den Deckelbildern der Baukästen sowohl Jungen als auch Mädchen zu sehen.

Baukasten-Hersteller

Fröbel und Pestalozzi legten also das Fundament für die weitere Entwicklung der Baukästen. Doch auch die Erfindungen des Baumeisters und Sozialreformers Gustav Lilienthal (1849 – 1933), dem Bruder des berühmten Luftfahrtpioniers Otto Lilienthal (1848 – 1896), waren dafür von großer Bedeutung. Gustav Lilienthal verwendete als Material für Baukästen unter anderem Papier und Pappe. Wellpappen wurden mit Stäbchen zusammengefügt(1). Als er seine Erfindungen 1888 patentieren ließ, enthielten seine Baukästen schon hölzerne Bauteile, die sogenannten Lochbänder (1). Diese Leisten, die zur Montage mit anderen Bauteilen in regelmäßigen Abständen mit Löchern versehen sind, werden noch heute in Baukästen verwendet. Sie fanden sich später auch in den Meccano-Metallbaukästen des britischen Erfinders und Geschäftsmanns Frank Hornby (1863 – 1936). Auf den Deckelbildern dieses Konstruktionsspielzeugs traten bis 1900 zunehmend Abbildungen spielender Jungen in den Vordergrund.

Dose „Meccano“ mit Schrauben (Baukastenzubehör) © Stadtmuseum Berlin

Eine weitere Erfindung Gustav Lilienthals waren die aus Sand, Leinöl und Schlämmkreide in verschiedenen Formen und Farben gepressten „Anker-Steine“, die für Jahrzehnte zu einem Inbegriff des Baukastens werden sollten. Doch reich wurde mit dieser Erfindung nicht Lilienthal, sondern andere. Zum kommerziellen Durchbruch gelangte diese Art der Baukästen erst durch Friedrich Adolf Richter (1846 – 1910) und die ursprünglich bei Richter beschäftigten Gebrüder Keller (Ende des 19. Jahrhunderts). Sie betitelten ihre Baukästen fast so wie Richter, führten aber auch eigenständig Neuerungen ein, wie die Verwendung von Metall als Baumaterial. 1910 kaufte Richter die inzwischen insolvente Fabrik der Kellers auf und stellte die Brüder wieder in seinem Unternehmen ein (1). 1913 brachte Richter dann seinen eigenen Metallbaukasten „Imperator“ heraus (1). Mit dem Anker als Logo wurden die Kästen Richters als Anker-Baukästen bekannt. Auf den Deckelbildern waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Teil auch wieder spielende Mädchen abgebildet.

Richter's Anker-Steinbaukasten
Mädchen und Junge beim generationenübergreifenden Spiel mit Richter's Anker-Steinbaukasten © Stadtmuseum Berlin

Baukästen nur für Mädchen

Ab 1917 fand sich ein neuer Firmenname im Berliner Handelsregister: „Walther & Co.“ Nach dem Ersten Weltkrieg stieg die Zahl der von Walther produzierten „Stabil“-Metallbaukästen. Sein Wahlspruch ließ zunächst keinen Zweifel, an wen sich das neue Produkt richtete: „Der Knaben schönstes Spiel das ist und bleibt stabil“ (1). In den 1930er Jahren stellte Walther aber auch spezielle Baukästen für Mädchen her. Der Wahlspruch von 1938 lautete dementsprechend: „Das was Stabil für Knaben, ist Stabila für Mädchen“ (1). Dieser Kasten ähnelte dem für Jungen, enthielt aber auch Wolle zum Ausstatten von Puppenhäusern (1). Die auf dem Deckel abgebildete Frau erinnerte dabei sowohl an die berühmte Fliegerin Elly Beinhorn als auch an Walthers eigene fortschrittliche Frau (1). Hier wurde die beginnende Frauenemanzipation sichtbar.

Holzbaukasten „Matador 2A“ mit zivilen Motiven (1927-1940) © Stadtmuseum Berlin

Baukästen in kriegerischen Zeiten

Spielzeug bildete schon immer die Welt im Kleinen ab. So spiegelte sich auf den Deckelbildern der Baukästen in Friedenszeiten der normale Alltag mit Motiven wie Eisenbahnen, Brücken, Fuhrwerken und Kränen. In kriegerischen Zeiten veränderten sich die Baukästen in Bezug auf Motiv und verwendete Materialien. So wurden aufgrund von Rohstoffmangel zum Beispiel Metallabfälle für die Herstellung von Baukästen verwendet. Die Deckelbilder sprachen mit Motiven wie Kriegsschiffen speziell das männliche Geschlecht an. Johann Korbuly (geb. 1892), der 1919 das Unternehmen seines Vaters übernommen hatte, musste die Produktion der „Matador“-Holzbaukästen während des Zweiten Weltkrieges sogar ganz einstellen und stattdessen Verpackungen für die Rüstungsindustrie herstellen. Erst nach Kriegsende kehrten die Holzbausteine mit ihren markanten Bohrungen für Verbindungsstäbchen in die Kinderzimmer zurück (1).

Baukasten Brandt's Schiffswerft
Bewaffnetes Dampfschiff auf dem Deckelbild des Baukastens „Brandt’s Schiffswerft“ © Stadtmuseum Berlin

Von der Nachkriegszeit bis heute

Später in der DDR gab es Bausteine in Tonnen und Kästen wieder gleichberechtigt für Jungen und Mädchen – im Gegensatz zu den meist für Jungen gedachten, traditionellen Geschlechterbildern folgenden Baukästen in der Bundesrepublik. In den 1960er Jahren kamen in beiden Teilen Deutschlands auch einfache elektrische Baukästen auf den Markt.

„Hämmere mit“ heißt es auch für Mädchen auf diesem Baukasten-ähnlichen DDR-Legespiel (1950-1965) © Stadtmuseum Berlin

Ebenfalls in den 1960er Jahren entstand unter dem Namen „Fischertechnik“ ein Baukastensystem mit Bausteinen aus zunächst grauem und rotem Kunststoff, ergänzt um Elektronik- und Metallbauteile. Die ersten Baukästen des Unternehmers und Dübel-Herstellers Arthur Fischer (1919 – 2016) entstanden 1964 als Werbegeschenke. 1965 folgten 1000 „Fischertechnik“-Baukästen für die „Aktion Sorgenkind“ (die heutige „Aktion Mensch“). Nur ein Jahr später wurde zur Herstellung des neuen Baukastensystems ein Werk in Salzstetten (Schwarzwald) gebaut. Es folgte eine rasante Entwicklung. 1970 wurden Lernbaukästen für den Unterricht in Schulen hergestellt. In den 1980er Jahren zog die Computertechnik in das Baukastensystem ein, gefolgt von Baukästen für viele naturwissenschaftliche Richtungen, bis hin zur Einführung von Baukästen für 3D-Drucker (2016) und Robotik (2017).

Gordon Plastik Steckbaukasten de luxeDer DDR-Steckbaukasten Gordon Plastik de luxe zeigt Junge und Mädchen beim selbstständigen Spielen und Konstruieren © Stadtmuseum Berlin

Natürlich werden Baukästen heute weiterhin auch für Mädchen hergestellt. Doch man kann Bauklötze staunen, dass gleichzeitig wieder eine Trennung der Geschlechter stattfindet. So sind Produkte für Mädchen häufig in Rosa und für Jungen häufig in Blau gehalten, damit nur ja niemand irrtümlich das falsche Spielzeug nimmt.

Literatur:
1. Baukästen, Ulf Leinweber, Drei Lilien Edition, SS. 35, 47, 87, 89, 94, 281
2. Pestalozzis Ausgewählte Werke III, Hermann Beyer, Langensalza, Verlags-Comptoir 1870 S. 88, 2. Abs., Z. 4

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Randy-Noreen Rathenow

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