Die Stadt im Wandel der Jahrhunderte
Das Rose-Theater
Eine großzügige Schenkung der Nachkommen der Theaterfamilie Rose ermöglicht nun einen neuen Blick auf ein besonderes Kapitel des Berliner Theaterlebens im 20. Jahrhundert.
Das Rose-Theater in der Großen Frankfurter Straße (heute Karl-Marx-Allee) steht für Berliner Volkstheater in seiner besten Form. Der Schauspieler und Theatergründer Bernhard Rose (1865–1927) entwickelte dort ein breitgefächertes Angebot für ein kleinbürgerlich-proletarisches Publikum. Mit der angeschlossenen großzügigen Gartenbühne führte er die Tradition von Theater und Ausflugslokal fort: „Hier können Familien Kaffee kochen“, so das Motto. Nach seinem Tod im Jahr 1927 betrieben seine drei Söhne Hans, Paul und Willi das erfolgreiche Bühnengeschäft mit mehr als 30.000 Abonnentinnen und Abonnenten bis zur kriegsbedingten Schließung aller Theater Ende August 1944 weiter.
Stadt der Theater
Zur Jahrhundertwende um 1900 galt Berlin in Europa als die Stadt der Theater. Das Spektrum reichte vom innerstädtischen, glamourösen Metropol-Theater bis zu den Vorstadtbühnen. Theaterunternehmer fanden in der Reichshauptstadt ein wachsendes Publikum. Nicht nur das künstlerisch tonangebende Deutsche Theater in der Schumannstraße (Mitte), sondern auch die zahlreichen Geschäftstheater sorgten für Unterhaltung und Bildung. Diese Lokale mit Saal und Gartenbühne für Theater- und Musik-Aufführungen hatten sich ab 1869 in ganz Berlin ausgebreitet. Das Berliner Publikum liebte die dort gebotene Mischung aus Spektakel, Ausschank und Erholung mit Schauspiel-, Musik- und Tanztheater, Varieté, Zirkus und Festveranstaltungen.
Mit dem zunehmenden Publikumsinteresse entstanden im wilhelminischen Berlin viele große Theater-Neubauten. Meist freistehend geplant, wurden sie schnell von Mietskasernen umgeben oder gar auf Höfen eingeklemmt. Eines dieser Theatergebäude, das 1877 eröffnete Ostend-Theater in der Großen Frankfurter Straße 132, erwarb 1906 der Theaterleiter Bernhard Rose.
Bernhard-Rose-Theater
Ab 1883 war Bernhard Rose in einem Berliner Theater-Liebhaber-Verein der Schauspielerei nachgegangen, hatte dann ein eigenes Ensemble gegründet und 1897 sogar seinen Beruf als Schriftsetzer aufgegeben, um sich ganz dem Theaterspiel zu widmen. Von 1902 an betrieb er in der Badstraße im Wedding ein Restaurationstheater mit angeschlossener Sommerbühne im Deutschen Clubhaus. Das Publikum saß dort an gedeckten Tischen und konnte während der Vorstellungen rauchen, essen und trinken.
Als Theaterleiter übernahm er auch den Schankbetrieb und lud nach der Vorstellung zum Tanz. Der Erfolg bleibt nicht aus und verschaffte ihm ein Angebot der Neuköllner Bergschloss-Brauerei: Brauereidirektor Limburg unterstützte den Kauf des Ostend-Theaters in der Großen Frankfurter Straße 132 mit einem Darlehen über 20.000 Goldmark, um dort sein Bier ausschenken zu lassen.
Postkartenansicht des Rose-Theaters © Stadtmuseum Berlin
Mit der Eröffnung des Theaterbetriebes am neuen Standort setzte Bernhard Rose dort ab September 1906 das bewährte Konzept fort. Er bot dem Publikum im Garten des Hauses Musik, Unterhaltung und Erholung. Sein Sohn Hans erzählte: „Für die Menschen, die dort um unser Theater herum in den Hinterhöfen und Mietskasernen hausten, war unser schöner und gepflegter, mit Blumenrabatten und Springbrunnen ausgestatteter Garten mit seinem herrlichen alten Baumbestand eine Oase, in die sie nachmittags mit Kind und Kegel, mit Stullenpaketen und Kaffeetüten – natürlich konnte hier jeder seinen Kaffee aufbrühen – schon von zwei Uhr an einzogen, meist so festlich gekleidet, wie sie nur konnten.“
Im eleganten großen Saal mit 1.200 Plätzen spielte das Ensemble nun in künstlerischer Atmosphäre Theater, gegessen und getrunken wurde dort nicht mehr. Nach den Vorstellungen bot den Gästen jedoch das Tunnelrestaurant die vergnügliche Gelegenheit dazu. Bernhard Rose setzte in seinem Theater auf Bekanntes: Volksstücke, Klassiker, Possen und Singspiele. Doch er nahm auch neue Entwicklungen auf: Revuen und Operetten. Die Revue Es gibt nur ein Berlin wurde 1911 ein durchschlagender Erfolg, der den ganzen Sommer lang auf dem Spielplan stand. Heinrich Zille entwarf das Plakat dazu und gestaltete auch Bühnenbilder für die Roses. Berlins populärer „Pinselheinrich“ liebte den Rose-Garten, wo er einen Stammplatz dicht am Orchester hatte.
Familie als Lebensmotto
Über zwei Generationen hinweg prägte die Familie Rose das beliebte Vorstadttheater im Osten. Gründer Bernhard hatte seine Frau Emma im Laientheaterverein kennengelernt und mit ihr zusammen sein eigenes Theater im Friedrichshain aufgebaut. Auch die drei Söhne zog es auf die Bühne, gemeinsam begingen sie 1926 das 20-jährige Bestehen des Rose-Theaters mit der Posse Ehrliche Arbeit.
Fotografie zu „Ehrliche Arbeit“, einer Festaufführung zum 20-jährigen Bestehen des Rose-Theaters, 29. September 1926, mit (von links nach rechts) Martin Knapfel, Traute Rose, Regisseur Edmund Binder, Bernhard Rose, Willi Rose, Erna Boewe © Stadtmuseum Berlin
Als Bernhard Rose als geachtete Theater-Größe ein Jahr später starb, begleiteten tausende Menschen den Trauerzug vom Theater zum Friedhof der St. -Georgen-Gemeinde in Prenzlauer Berg. Die Söhne führten das Familienunternehmen in der Folge gemeinsam. Alle drei hatten das Bühnenhandwerk von der Pike auf gelernt und Künstlerinnen geheiratet, die mit ihnen auf der Bühne standen. Hans Rose und seine Frau Loni bildeten ein aufeinander eingespieltes und sich ergänzendes Paar, das mit Paul Roses Ehefrau Traute als erfolgreiches Dreigestirn die Zuschauer begeisterte.
Trauerzug in der Großen Frankfurter Straße anlässlich der Beerdigung Bernhard Roses, Postkarte, 1927 © Stadtmuseum Berlin
Traute Rose, ihrer schönen Stimme wegen die „Nachtigall des Ostens“ genannt, entwickelte sich zum Publikumsliebling. Sie konnte von den Klassikern bis zur Operette alles spielen und stand häufig an einem Tag in vier verschiedenen Rollen auf der Bühne.
Nach den Vorstellungen begegneten sich alle in gemütlicher Runde im Kellerrestaurant „Tunnel“. „Unsere Zuschauer warteten abends auf uns“, erzählt Hans Rose in seinen Erinnerungen, „und wenn ich abends ins Restaurant kam, wußte ich nicht, an welchen Tisch ich mich zuerst setzen sollte. Jeder wollte mit mir ein Schnäpschen trinken, und ich mußte mich nur hüten, daß es nicht zu viel wurde, denn die Proben am anderen Morgen erforderten schließlich einen klaren Kopf. Jeder von uns Schauspielern hatte seinen besonderen Anhängerkreis, und es wurde eigentlich jeden Abend gleich nett.“
Mit treuem Publikum durch Krisenzeiten
Paul Rose übernahm bald die künstlerische Leitung des Theaters als Intendant und ließ „en suite“ spielen, die aktuelle Inszenierung immer einige Wochen lang anstatt verschiedene Stücke im Wechsel. Danach folgte die nächste Premiere. Er baute ein vorbildliches Abonnementsystem auf, das jedem Zuschauer und jeder Zuschauerin einen festen, selbst gewählten Stammsitz garantierte und 12, später 13 Vorstellungen pro Spielzeit beinhaltete. Dabei wurde immer nur eine Aufführung im Voraus bezahlt, und Garderobe sowie das Programmheft waren kostenfrei.
Auch aufgrund der günstigen Eintrittspreise (z.B. 1933 zwischen 0,30 und 1,75 Reichsmark) hielten viele Besucherinnen und Besucher dem Rose-Theater über lange Zeit die Treue. Dadurch war die Theaterleitung relativ unabhängig von den damaligen Wirtschaftskrisen und konnte ein vielfältiges Repertoire anbieten. Dieses umfasste im großen Haus klassische Schauspiele, Volksstücke und Operetten sowie Märcheninszenierungen für Kinder. Im Garten fanden regelmäßig Unterhaltungsprogramme mit Konzerten und Varieté-Szenen sowie Hausfrauen-Nachmittage, Rosen- und Winzerfeste statt.
Das Publikum fühlte sich bei so viel Zuwendung auf eine besondere Weise mit „seinem“ Rose-Theater verbunden. Über viele Jahre bildeten Stammgäste die Mehrheit. Darunter waren Handwerker, Fabrikarbeiter, kleine Gewerbetreibende, niedere Beamte und Gesellen aus der näheren Umgebung des Theaters, die meist mit der ganzen Familie kamen. „Der Erfolg ist fast ausschließlich: Die Organisierung des Familiensinns“, schrieb der Theaterkritiker Herbert Jhering 1931 im Berliner Börsenkurier. „Die Gefühle der Zusammengehörigkeit werden gewahrt. Vertraulichkeit auf der Bühne. Vertraulichkeit im Parkett und in den Rängen. Man kennt sich. Man weiß Bescheid“. Immer wieder betonten die Besucherinnen und Besucher die besonders familiäre Atmosphäre in ihrem „Theater zum Anfassen“.
Paul Rose warb zudem mit Anzeigen in Zeitungen und mietete Litfaßsäulen für das Abonnement-System und die Spielpläne. Bald folgen auch vermehrt Interessierte aus anderen Teilen Berlins dem Angebot, insbesondere nach der Fertigstellung der U-Bahn-Linie E vom Alexanderplatz nach Friedrichsfelde im Jahr 1930.
Verkehrsverbindungen zum Rose-Theater (Ausschnitt), 1930er Jahre © Stadtmuseum Berlin
Privattheater und nationalsozialistische Kulturpolitik
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 ändern sich die Bedingungen für deutsche Theater im Bereich der Finanzen, Personalpolitik und Spielplangestaltung grundlegend. Auf staatliche Anordnung wurde einerseits die materielle und soziale Situation der Bühnenschaffenden durch Tarifordnung, Pflichtversicherung, Kündigungsschutz und Urlaubsordnung verbessert. Dafür mussten andererseits die Privattheater erhebliche Mehrkosten aufwenden.
Für die Spielzeit 1934/ 35 sah sich Paul Rose gezwungen, beim „Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda“ finanzielle Unterstützung zu beantragen. Danach wurde das Rose-Theater mit 12 Prozent seiner Ausgaben subventioniert. Dieses Privileg bedeutete jedoch eine stärkere Abhängigkeit von der nationalsozialistisch kontrollierten Inszenierungspolitik.
Mit der Gleichschaltung der Kultur begann die Verdrängung jüdischer Künstlerinnen, Künstler, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Im Rose-Theater durften zudem nur noch wenige mit jüdischen Partnern verheiratete Schauspieler auftreten, und selbst dies nur mit Sondergenehmigung. Die Stücke jüdischer Autoren mussten aus den Spielplänen gestrichen werden. Bei den beliebten Operetten, die dennoch aufgeführt werden durften, wurden deren Namen nicht mehr erwähnt. Bis 1944 bildeten Operetten und musikalische Lustspiele zwei Drittel des Repertoires. Besonders gut besucht waren Werke von Franz Lehár und Walter Kollo.
Gerhart Hauptmann als Hausautor
Trotz der heiklen Kompromisse mit den Machthabern versuchte Paul Rose weiterhin ein künstlerisch anspruchsvolles Programm für sein Publikum umzusetzen. Erstmals in Berlin wurde in seinem Theater Goethes Faust in einer dreiteiligen Inszenierung an einem Tag gezeigt. Die Leidenschaft des Intendanten für den Dramatiker und Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann (1862-1946) belegt eine Reihe von Inszenierungen von Die Ratten, Die Weber und Vor Sonnenaufgang. Der Dichter Hauptmann fühlte sich geehrt. 1931 feierte er mit der Familie Rose das 25jährige Bestehen ihres Theaters in der Großen Frankfurter Straße bei der Premiere seines Dramas Rose Bernd.
Zum 75. Geburtstag Hauptmanns im Jahre 1937 inszenierte Paul Rose einen dreiteiligen Zyklus seiner Werke. Dafür holte er prominente Gast-Stars wie Otto Gebühr und Ida Orloff auf die Bühne. Ein Jahr später gastierte der bekannte Schauspieler Eduard von Winterstein in der Hauptrolle von Hauptmanns Fuhrmann Henschel, Seite an Seite mit Traute Rose. Auch jungen Talenten bot das Haus Auftrittsmöglichkeiten, darunter die später über Berlin hinaus als Film- und Fernsehschauspielerin bekannt gewordene Brigitte Mira (1910–2005), die 1941 als tanzende Sängerin (Soubrette) ihr Engagement beim Rose-Theater antrat.
Ende einer Ära
1943 wurden von den nationalsozialistischen Machthabern alle noch verbliebenen Privattheater enteignet. Die Roses waren in ihrem eigenen Haus nun weisungsabhängige Angestellte. Alliierte Luftangriffe hatten zudem bereits seit 1941 zu ständigen Veränderungen gezwungen. „Unser Publikum blieb treu. Ich zitterte um jeden, wenn Voralarm gegeben wurde“, schrieb Paul Rose rückblickend. „Wir mußten dafür sorgen, daß die Zuschauer schnell rauskamen, rin in den U-Bahn-Schacht. Wir fingen immer zeitiger an. Schließlich waren wir bei vier Uhr angelangt.“
Bei den großen britischen Luftangriffen vom 18. bis 26. November 1943 fiel die Gartenbühne vollständig den Flammen zum Opfer. Im Mai 1944 zerstörten US-amerikanische Bomben umliegende Mietshäuser und Magazine. Trotz alledem gab es noch Aufführungen bis zur Schließung aller deutschen Bühnen. Am 31. August 1944 fand vor ausverkauftem Haus die letzte Vorstellung im Rose-Theater statt, die Lehár-Operette „Friederike“.
Der zerstörte Rose-Garten, 1944 © Stadtmuseum Berlin
Danach mussten die Angestellten des Theaters in die Rüstungsindustrie, Hans Rose wurde Soldat, Willi arbeitete beim Film und Paul zog sich ins dem Deutschen Reich angeschlossene Österreich zurück. Im Theater wurde ein Kino eingerichtet, das „Ufa im Rose-Theater“ eröffnete am 27. Oktober 1944. Ende April 1945 wurde in den letzten Kriegstagen schließlich auch das Rose-Theater zerstört.
Bemühungen zum Wiederaufbau des Theaters in der Nachkriegszeit scheiterten nicht zuletzt an den Bestrebungen der DDR-Regierung, die ehemalige Große Frankfurter Straße als Stalinallee in ein Vorzeige-Projekt sozialistischer Stadtplanung zu verwandeln. Heute erinnert eine Gedenktafel am Haus Karl-Marx-Allee 78 an das verschwundene Theater. Die Rose-Familie zerstreute sich: Hans ging ans Metropol-Theater im Osten des nun geteilten Berlins, Willi stand im Westen der Stadt auf der Bühne und vor allem vor der Kamera. Traute trat unmittelbar nach Kriegsende bei Veranstaltungen in Berlin auf, später arbeitete sie an westdeutschen Bühnen. Paul Rose wurde nach Stationen als Intendant in Köthen, Tübingen und Kassel Generalintendant des Staatstheaters Karlsruhe.
Traute Rose im Märkischen Museum mit dem Leiter der Theaterabteilung, Alfred Dreifuß, und Direktor Dr. Erik Hühns (von links), 24. Juni 1969 © Stadtmuseum Berlin | Foto: Dieter Breitenborn
Erinnern und Bewahren
Was heute bleibt, ist die Erinnerung an ein Volkstheater, ein auf Gleichheit gegründetes Verbundensein der Sängerinnen und Sänger, Tänzerinnen und Tänzer, Musikerinnen und Musiker sowie der Schauspielerinnen und Schauspieler mit den Leuten im Saal und auf den Rängen. Im Bestand des Stadtmuseums Berlin halten zeitgenössische Berichte und Fotografien die Geschichte dieser unvergessenen Spielstätte wach – eines festen Bestandteils Berliner Theaterkultur.
Ausstellung des Märkischen Museums zum Rose-Theater im Schaufenster der Karl-Marx-Buchhandlung in der Karl-Marx-Allee, 1972 © Stadtmuseum Berlin | Foto: Christel Lehmann
Die 2020 an des Stadtmuseum Berlin übergebene, umfangreiche Schenkung der Erben der Theaterfamilie umfasst 75 Sammelalben, Regie- und Textbücher, Programmhefte und Fotografien. Paul Rose hatte Dokumente, Handschriften und Manuskripte akribisch gesammelt und geordnet. Glücklicherweise sind im Nachlass der Familie darüber hinaus zahlreiche Kassenbücher und unveröffentlichte Briefe erhalten geblieben, deren Auswerten und Erschließen nun beginnen kann.