Ernst Litfaß
Seit mehr als 160 Jahren ist die Litfaßsäule ein Berliner Wahrzeichen. Anlässlich seines Geburtstags am 11. Februar 1816 erinnern wir an das Leben, das Wirken und den Nachlass ihres Erfindes Ernst Litfaß.
Ernst Theodor Amandus Litfaß, im Volksmund schon zu Lebzeiten mit dem respektvollen Beinamen „Reklamekönig“ versehen, zählt zu den erfindungsreichsten Köpfen des 19. Jahrhunderts. Durch die nach ihm benannten Anschlagsäulen, die immer noch zu Tausenden das Stadtbild Berlins und vieler anderer Städte prägen, ist sein Name bis heute weithin bekannt. Als Druckereibesitzer, Verleger, Erfinder, Publizist, Eventmanager und Laienkünstler erwarb sich Litfaß große Verdienste. Und nicht zuletzt sein soziales Engagement brachte ihm Ansehen und den Respekt seiner Zeitgenossen ein.
Eine Künstlerseele beugt sich dem Druck
Ernst Litfaß, geboren am 11. Februar 1816 in Berlin, entstammte einer alter Buchdruckerfamilie. Sein Vater Ernst Joseph Gregorius (1781 – 1816), der bereits kurz nach der Geburt des Sohnes starb, war Besitzer einer Buchdruckerei und Verlagsbuchhandlung in der Berliner Adlerstraße 6 – einer seit den 1930er Jahren überbauten Straße, an deren Stelle sich heute das ehemalige Reichsbankgebäude (Auswärtiges Amt) befindet. Nach seinem Tod führte Leopold Wilhelm Krause (vor 1800 – 1846) das Geschäft erfolgreich weiter, ein Berliner Buchdrucker, Buchhändler und zu jener Zeit Verwalter der Litfaß‘schen Druckerei, der später Ernst Litfaß‘ Stiefvater werden sollte. Mit dem Druck von Bilderbogen, Reisebüchern und Theaterzetteln für Berliner Bühnen verdiente das Unternehmen gutes Geld.
Auf Wunsch der Mutter und des Stiefvaters macht Ernst Litfaß eine Lehre in der Schlesinger‘schen Buch- und Musikalienhandlung Unter den Linden. Zwar schließt er diese erfolgreich ab, widmet sich aber in den darauffolgenden Jahren dem Reisen und seiner eigentlichen Leidenschaft – der Schauspielerei. So gründet Ernst Litfaß etwa das „Lätitia“-Theater am Weinbergsweg beim Rosenthaler Tor. Als die Buchdruckerei seines Stiefvaters Krause jedoch 1845 durch dessen Krankheit in eine Zwangslage gerät, kauft Litfaß ihm das Geschäft ab. Nach dem Tode Krauses 1846 beginnt er das Unternehmen vollständig zu modernisieren, wozu die Umstellung von Holz- auf Schnellpressen gehörte.
Politisches, geschäftliches und gesellschaftliches Engagement
Während der 1848er Revolution betätigt sich der bekennende Demokrat Litfaß als Verleger und Drucker von politischen Flugblättern, Zettelanschlägen und dem Satireblatt „Berliner Krakehler“, das alsbald verboten wird. Nach dem Scheitern der Revolution ist es mit der hochtrabenden demokratischen Gesinnung vorbei: Litfaß wird königstreuer Patriot und bleibt es bis zum Tode. Davon zeugen Ergebenheitsadressen zu königlichen Geburtstagen, aber auch der kostenlose Druck von Kriegsdepeschen während des Deutsch-Österreichischen (1866) und des Deutsch-Französischen Krieges (1870/71). Selbst sein soziales Engagement steht nicht im Widerspruch zur Obrigkeit: Die von Litfaß organisierten Feste, Konzerte, Feuerwerke und Spendenaktionen sollen vor allem notleidenden Veteranen, Kriegsversehrten und Soldatenwitwen helfen.
Auch verlegerisch blieb Litfaß aktiv. 1845 dokumentiert er in seinem Buch „Denkmäler der Entschlafenen“ alle Grabinschriften des Dom-Kirchhofs in der östlich vom Alexanderplatz gelegenen Elisabethstraße (nach 1945 überbaut). 1851 gründet er mit dem „Tages-Telegraph“ das erste Berliner Stadtmagazin mit Tipps und Terminen für Theater, Konzerte, Vergnügungen und Restaurants. 1858 folgt mit der „Theater-Zwischen-Akts-Zeitung“ der Vorläufer heutiger Theater-Programmhefte. Zudem vollendet er die 1773 vom Enzyklopädisten und Naturforscher Johann Georg Krünitz (1728 – 1796) begründete und bereits von seinem Vater und Stiefvater herausgegebene „Krünitzsche Enzyklopädie“ – ein sage und schreibe 242-bändiges Standardwerk der Staats-, Stadt-, Haus- und Landwirtschaft.
Seine größte Energie verwendet Ernst Litfaß jedoch seit Ende der 1840er Jahren auf die Entwicklung neuer Werbemöglichkeiten, besonders im Hinblick auf Plakate. So stellt er 1849 anlässlich der Berliner Industrieausstellung ein Riesenplakat mit der für Deutschland bahnbrechenden Größe von rund sechs mal zehn Metern her. Doch sein größter Erfolg sollte ihm noch bevorstehen.
Entstehung und Siegeszug der Litfaßsäule
Wie in allen großen Städten gibt es auch in Berlin zu dieser Zeit ein Problem mit „wilder“ Plakatierung. Überall kleben Plakate: an Wänden, an Zäunen, an Bäumen, und wo kein Platz mehr ist, klebt man sie kurzerhand übereinander. Alte Plakate lösen sich, flattern im Wind oder werden irgendwann davongetragen und verschandeln so das Stadtbild. Um diesem Mißstand abzuhelfen, entwickelt Litfaß die Idee, an den belebtesten Straßenecken und Plätzen Berlins Anschlagsäulen aufzustellen. Nur hier soll noch plakatiert werden.
Inspiriert wird er dazu vermutlich auf einer seiner Reisen nach London oder Paris, wo es schon Vorläufer der späteren Litfaßsäule gibt. So besucht er Paris etwa zum Jahreswechsel 1853/54, vermutlich mit seinem Freund, dem Zirkusdirektor Ernst Renz. Ernst Litfaß ist tief beeindruckt von der Weltstadt: „Es ist nun einmal alles großartig in Paris“, schreibt er in einem Reisebericht. Er schwärmt von der gewaltigen und wirksamen Reklame, von den „Riesen-Annoncen“, die diese „Riesenstadt“ auch brauche und notiert: „Die Schaufenster in Paris verhalten sich zu den hiesigen, wie die Leipziger Messe zu dem Jahrmarkt in Friesack.“ Und weiter: „Nicht bloß die Straßenecke, Pfeiler und Brunnen, nein auch die Dächer und Schornsteine selbst sind mit Firmen bemalt und beschrieben.“
Was er nicht beschreibt, sind die bereits seit 1839 in Paris vorhandenen „Colonnes urinairs“, den Toilettenhäuschen, die in ihrer Zweitfunktion an den Außenwänden Anschlagzettel trugen. Ließ sich Litfaß von ihnen inspirieren? Vielleicht. Auf jeden Fall mussten die Leser der neuesten Anschläge an diesem frühen Werbeträger notgedrungen üble Gerüche in Kauf nehmen. Möglicherweise ist diese Erfahrung für Litfaß ausschlaggebend, Pissoirs als Anschlagssäulen nicht weiter in Erwägung zu ziehen. Zwar hatte es in London bereits ab 1824 eine Vorstufe der späteren Anschlagsäule gegeben. Doch es liegt nahe, dass die Parisreise in Litfaß die Idee einer „Annoncir-Säule“ erweckte, denn im Sommer des Jahres 1854 legt er dem Polizeipräsidenten von Berlin, Karl Ludwig von Hinckeldey (1805 – 1856), seinen Plan vor.
Höfische Weihen für den „Säulenheiligen“
Bereits am 5. Dezember 1854 wird zwischen dem Polizeipräsidium und Litfaß ein Vertrag unterzeichnet, der Litfaß die Konzession für die Aufstellung und Nutzung von 150 „Annoncir-Säulen“ für die Dauer von 15 Jahren zusichert. Nach Ablauf dieser Zeitspanne sollen die Säulen an das Polizeipräsidium als dem neuen Eigentümer übergehen. Gleichzeitig erhält Litfaß die ausschließliche Berechtigung, „für die an Säulen und Pissoirs zu heftenden Zettel eine […] Abgabe zu nehmen".
Von der Aufstellung der Säulen verspricht sich Hinckeldey eine Regulierung des Plakat(un)wesens. Es steht nur noch eine begrenzte Fläche zur Verfügung, die Größen und Formate sind vorgegeben. Das Plakatieren ist nun mit der Entrichtung einer Gebühr verbunden und allein durch eine dafür verantwortliche Person auszuführen – Ernst Litfaß. Die erste Säule wird am 15. April 1855 an der Ecke Münzstraße/Grenadierstraße (seit 1951 Almstadtstraße) aufgestellt. Natürlich ist mit dem Plakatieren an der Anschlagsäule ganz nebenbei eine inoffizielle Zensur entstanden, denn Litfaß stellt einen Anschlag-Inspektor ein, der jeden Morgen alle Säulen inspiziert. Für die Obrigkeit sicherlich ein sehr erwünschter Nebeneffekt.
Nicht nur wirtschaftlich hat Ernst Litfaß mit seinem Beinahe-Monopol auf Plakatwerbung ausgesorgt. Auch gesellschaftlich genießt der halb scherzhaft, halb respektvoll so genannte „Säulenheilige“ hohes Ansehen. 1863 wird er sogar zum Königlichen Hofbuchdrucker ernannt. Mit der Ankündigung der Siamesischen Zwillinge, die im Jahre 1869 im Zirkus Renz auftreten, setzt Litfaß darüber hinaus einen weiteren Meilenstein in der Entwicklungsgeschichte der Reklamekunst in Deutschland, denn dies ist das erste farbige Plakat, das in Berlin gedruckt wird. Um es auszuführen, richtet er eigens ein Atelier für Buntdruck ein. 1871 feiert er sein 25-jähriges Geschäftsjubiläum.
Drei Jahre später, am 27. Dezember 1874 verstirbt Ernst Litfaß überraschend während eines Kuraufenthalts in Wiesbaden. Die genaue Todesursache ist nicht bekannt, doch hatte er zeit seines Lebens viel gearbeitet. Zudem verlor er von 1866 bis 1872 fünf Enkelkinder, 1873 einen Schwiegersohn und seine geliebte Frau, die Gastwirtstochter Alexandrine Emilie Adelheid, geborene Wersig – ein besonders schwerer Schlag für den Familienmenschen Litfaß. Die Beisetzung erfolgte am 1. Januar 1875 auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin.
Der Nachlass
Der Nachlass von Ernst Litfaß kam nach 1925 ins Märkische Museum. Heute gehört er als Teil der Dokumentensammlung zu den wichtigsten Nachlässen im Stadtmuseum Berlin. Vermutlich stellte Ernst Litfaß den Nachlass selbst zusammen. Die darin enthaltenen Dokumente informieren insbesondere über sein geschäftliches und gesellschaftliches Wirken. Sein privates Leben klammert er fast vollständig aus.
Besonders beeindruckend ist ein umfassendes Konvolut von Dokumenten, das Litfaß in Leder binden und auf dem Einband in Goldbuchstaben mit seinem Namen versehen ließ. Es beinhaltet unter anderem einen eigenhändig geschriebenen Lebenslauf, Briefe, Einladungen, Gedichte, Dankschreiben und Zeitungsausschnitte. Heute besitzt dieser 44 cm x 28 cm große Band unschätzbaren Wert für die Erforschung der Person Ernst Litfaß und der Geschichte von Berlin.
Ehemals als Buch gebunden, hat das Werk die Zeit nicht schadlos überstanden: Der Buchrücken fehlt vollständig, die Bindung ist weitgehend aufgelöst und die Ränder der Seiten sind so brüchig, dass einzelne oder mehrere zusammenhängende Seiten in Mappen verpackt werden mussten, um sie zu erhalten. Fotokopien der Originalseiten ermöglichen nichtsdestotrotz die Nutzung der einzigartigen Dokumente zu Forschungszwecken.
Darüber hinaus umfasst der Nachlass unterschiedlichste einzelne Dokumente, vor allem die von der Litfaß‘schen Druckerei gefertigten Theaterzettel sowie Konzertprogramme, Ausschnitte aus der Theater-Zwischen-Akts-Zeitung und Fotografien. Auch im Stadtbild ist Ernst Litfaß immer noch präsent: Am Standort der allerersten „Annoncir-Säule“ in der Münzstraße erinnert seit 2006 eine Litfaßsäule aus Bronze an den deutschen Werbepionier.
WEITERE INFORMATIONEN
Deutschlandfunk
Die Litfaßsäule – anlässlich ihrer Abschaffung
Ein Radiobeitrag von Ruth Johanna Benrath und Astrid Litfaß
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