Paul Lincke

Wegbereiter der Berliner Operette

Paul Lincke gilt bis heute als Berlins populärster Komponist der leichten Muse. Mit unverwechselbaren Klängen übersetzte er das tägliche Leben der wachsenden Großstadt in Musik und schuf mit seiner Lokal-Hymne „Berliner Luft“ ein musikalisches Denkmal für seine Geburtsstadt.

Paul Linckes eingängige Melodien im flotten Marschrhythmus strahlen echtes Berliner Kolorit aus, sie beschreiben den besonderen „Zauber von Berlin, wo nur die besten Sachen ziehn, wo man Radau macht Tag und Nacht und uns das Herz im Leibe lacht“, wie es in einem seiner Lieder heißt. Anlässlich seines Geburtstags am 7. November erinnern wir an den „Vater der Berliner Operette“ und zwei bekannte Interpreten seiner Werke.

Die Jungfernbrücke unweit Linckes Elternhaus, 1904 © Stadtmuseum Berlin | Foto: Max Missmann | Reproduktion: Christel Lehmann

Erste Schritte auf der musikalischen Laufbahn

Paul Lincke wurde am 7. November 1866 als Sohn des Magistratsdieners August Lincke und seiner Frau Emilie in der Holzgartenstraße 5 geboren, nahe der Jungfernbrücke, wo heute die Gebäude der Bundesbank stehen. August Lincke spielte neben seinem Hauptberuf Violine, womit er für ein zusätzliches Familieneinkommen sorgte. Doch nach seinem frühen Tod musste die Mutter Emilie allein für Paul und seine zwei Geschwister aufkommen.

Schon in jungen Jahren galt die besondere Vorliebe des Knaben der preußischen Marschmusik, die er bei den Wachaufzügen in Berlin voller Begeisterung hörte. Sein musikalisches Talent bewies er schon mit 11 Jahren wie der Vater an der Violine. 1881 trat er eine dreijährige Lehre bei der „Stadtpfeiferei“ in Wittenberge als Fagottist an, wo er sich im Spiel von Tenorhorn, Schlagzeug und Klavier bildete. Das Repertoire der Stadtpfeifer war breit gefächert, sodass Lincke populäre Musik vom Gassenhauer bis zum Opernpotpourri kennenlernte – was seinen späteren Stil wohl mitgeprägt haben dürfte.

Wachaufzug Unter den Linden, 1905 © Stadtmuseum Berlin | Foto: Max Missmann | Reproduktion: Christel Lehmann

Linckes Wunsch Militärmusiker zu werden erfüllte sich nicht; sein Brustumfang entsprach nicht der vorgegebenen Norm. Doch in der bunten Theaterlandschaft Berlins fand der junge Fagottist 1884 am Central-Theater in der Alten Jakobstraße sofort eine Stelle als Orchestermusiker. Nur ein Jahr später saß er bereits als Korrepetitor am Klavier des Ostend-Theaters in der Großen Frankfurter Straße. Dort lernte er die 16-jährige Soubrette Anna Müller kennen, die er 1893 heiratete. Das Eheglück währte jedoch nur kurz, das Paar ließ sich schon  nach wenigen Jahren wieder scheiden. 

Das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Apollo-Theater in der Friedrichstraße 218, um 1900 © Stadtmuseum Berlin | Foto: Max Missmann | Reproduktion: Christel Lehmann

Bewunderter Dirigent

Auch als Dirigent hatte sich Lincke bereits an verschiedenen Spielstätten einen Namen gemacht, als er 1893 dem Apollo-Theater in der Friedrichstraße empfohlen wurde. Als erster Kapellmeister war er dort auch als Komponist gefragt. Zu seinen Liedern und Einaktern schrieb Heinrich Bolten-Baeckers (1871 – 1938) die Texte. Sein guter Ruf als Dirigent brachte Paul Lincke in der Folge ein zweijähriges Engagement am berühmten Varieté Folies-Bergères in Paris ein, von dem er 1899 an sein Apollo-Theater zurückkehrte. Dort löste Linckes elegante Erscheinung am Dirigentenpult in Frack und Zylinder große Bewunderung aus. 

Rückblickend erinnerte er sich an die Abende in diesem Haus:„Eine Premiere im Apollo-Theater, das war zu jener Zeit das größte gesellschaftliche Ereignis. Es flimmerte in den Logen und im Parkett nur so von Dekollteés, Brillanten, weißen Hemdbrüsten, Uniformen. Es war eine tolle Stimmung im Theater, noch bevor der Vorhang aufging. Dann kam ich, trat an das Dirigentenpult und hob den Taktstock, Aahs und Oohs, halb unterdrückte Ausrufe der Bewunderung gingen durch das Haus. So was hatte man noch nicht gesehen: Meine Hände steckten in schneeweißen Glacéhandschuhen! Das war wirklich noch nicht dagewesen, man applaudierte schon, bevor überhaupt der erste Ton der Ouvertüre erklang!“

Bildpostkarte „Erinnerung an ‚Frau Luna‘“, Apollo-Theater Berlin, 1899 © Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Friedhelm Hoffmann

Am 1. Mai 1899 feierte Lincke im Apollo-Theater mit seinem Einakter „Frau Luna“ einen glänzenden Erfolg. Dieses Datum gilt seither als Geburtsstunde der Berliner Operette, deren musikalische Sprache dem traditionellen Gassenhauer nahe steht. Linckes zündende, leicht nachzusingende Melodien schlugen sofort ein. Auch das Schauspiel selbst versprach auf der opulent ausgestatteten Bühne beste Unterhaltung: Die Protagonisten – technikbegeisterte Berliner Kleinbürger – reisen mit einem Ballon zum Mond. Das Thema sorgte für Gesprächsstoff, denn Ballonfahrten begeisterten die Menschen schon seit Jahren. Sogar lenkbare Luftschiffe wurden bereits erprobt, und im Juli 1900 erhob sich über dem Bodensee erstmals ein „Zeppelin“ in die Luft. Von dem Erfolg beflügelt, schuf Lincke fast jährlich ein neues Bühnenwerk.

Wenn heute auch der Großteil seiner etwa zwei Dutzend Bühnenwerke vergessen ist, so wurden doch viele Einzelnummern von Paul Lincke wahre Evergreens. Zahllose Bearbeitungen anderer Künstler haben das „Glühwürmchen-Idyll“ aus der Operette „Lysistrate“ von 1902 unsterblich gemacht, auch Lieder wie die „Siamesische Wachtparade“, „Schenk‘ mir doch ein kleines bißchen Liebe“ oder „Nimm mich mit“ wurden zeitlose Erfolge.

Musik von und mit Paul Lincke

„Donnerwetter – tadellos!“, Jahresrevue des Metropol-Theaters Berlin, Notenausgabe, Titelblatt, 1908 © Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Friedhelm Hoffmann

Revue-Triumphe am Metropol-Theater

Von 1905 bis 1908 war Lincke am Thalia-Theater in der Dresdener Straße engagiert. Seither lebte er in diesem Stadtviertel, in der Oranienstraße 64, wo sich auch sein Apollo-Musikverlag befand. Er fing in seiner Musik den alltäglichen Rhythmus der Metropole ein, die Wünsche und Sehnsüchte der kleinen Leute, ihre Lust, sich zu amüsieren. Sein Marschlied, „Bis früh um Fünfe, süße Maus“ gab die Stimmung des pulsierenden Lebens im Vergnügungsviertel rund um die geschäftige Friedrichstraße wieder.

Schon seit 1903 amüsierte sich das vornehme Publikum im Metropol-Theater in Berlins Mitte bei so genannten Jahresrevuen, satirisch-aktuellen Werken zu lokalen Ereignissen mit loser Nummernfolge, die der Hauskomponist Victor Hollaender für die jeweilige Spielzeit schrieb. Paul Lincke, ab 1908 an dieser eleganten Bühne als Dirigent und Hauskomponist engagiert, meisterte auch dieses für ihn neue Genre bravourös, wie ein Pressebericht aus jener Zeit berichtet. Die Revue „Donnerwetter, tadellos!“ kam „mit einem Kostenaufwand von zweihunderttausend Mark heraus. Am Vormittag standen die Preise der schäbigsten Plätze auf hundert Mark. Das sind die Summen, auf die der Berliner stolz ist und die er gern weitererzählt. Die Auffahrt zum Theaterbeginn und die Abfahrt nach Schluß machte ein Aufgebot von Schutzleuten notwendig wie bei einem Fürstenbesuch“.

Die große Zeit der Fritzi Massary

Zu den Stars des Hauses gehörte die Soubrette Fritzi Massary (1882 – 1969). Mit dem leicht frivolen Couplet Im Liebesfalle“ hatte sie sich 1904 in Berlin vorgestellt. Schon beim Debüt fiel sie durch ihre pointierte Vortragsweise auf. Mit einzigartiger Grazie schlüpfte sie aus der Rolle der verführerischen Kokotte in die der unnahbaren Dame. Nie wurde sie direkt, über Andeutungen ging sie nicht hinaus.

Fritzi Massary als „Sünde von Berlin“, Bildpostkarte zu „Der Teufel lacht dazu“ (Victor Hollaender und Julius Freund), Jahresrevue des Metropol-Theaters Berlin, 1904 © Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Friedhelm Hoffmann

In Paul Linckes Revue verwandelte sie sich von „Madame Chic“ zum „Fräulein Börse“, vom „Laufmädel der Konfektion“ zur „kleinen, fixen Donaunixe“. In schneller Abfolge stellte sie verschiedene Typen dar und sammelte so wertvolle schauspielerische Erfahrungen. Für die Autodidaktin waren diese Revuen die Lehrjahre, die ihrer späteren Karriere die Basis gaben. 1909 hatte Linckes „Hallo! Die große Revue“ Premiere. Doch unzufrieden mit Arbeitsbedingungen und Tantiemen verließ er das Metropol-Theater in diesem Jahr endgültig – und mit ihm Fritzi Massary. Die Zeit der Jahresrevue war auch für sie vorbei.

Erst im Kriegsjahr 1915 kehrte Fritzi Massary ans Metropol-Theater zurück. Nun wurde Operette gespielt, jedoch nicht mehr im altbekannten Berliner Rhythmus der Vorkriegsjahre, sondern mit wienerischem Flair. Komponisten wie Leo Fall und Oscar Straus (1870 – 1954) führten mit ihren Walzermelodien die besondere Vortragskunst ihrer in Wien geborenen Kollegin zur vollendeten Reife, gaben ihren Zwischentönen voller erotischer Anspielungen musikalische Gestalt. Sie schufen Operetten mit großen weiblichen Hauptrollen, in denen sich Fritzi Massary als einzigartige Diva zeigen konnte und zur „Königin“ von Berlin wurde. „Die“ Massary erlebte ihren künstlerischen Höhepunkt schließlich 1922 am Berliner Theater in der Dresdener Straße als „Madame Pompadour“ von Leo Fall (1873 – 1925), in einer Massary-Operette nach Maß.

Bis 1932 blieb sie ein Star auf den Berliner Bühnen. Doch mit der Operette „Eine Frau die weiß was sie will“ von Oscar Straus fand ihre Karriere ein jähes und unfreiwilliges Ende. Nach antisemitischen Anfeindungen im Metropol-Theater verließ Massary die einstige Operetten-Metropole, deren erfolgreiche Künstler ab 1933 immer zahlreicher emigrierten. 

Zweiter Frühling mit „Frau Luna“

Um den Komponisten Paul Lincke war es in diesen Jahren still geworden. Die neuen Rhythmen der zwanziger Jahre – Foxtrot, Shimmy oder Jazz – waren ihm fremd geblieben. So beschränkte er sich auf Bearbeitungen. Aus „Frau Luna“ wurde 1921 ein abendfüllendes, zweiaktiges Werk, dem er auch das Marschlied „Berliner Luft“ aus der gleichnamigen Posse von 1904 hinzufügte.

Programmheft zu Paul Linckes „Frau Luna“ am Theater des Volkes, Berlin 1941 © Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Friedhelm Hoffmann

Sein Ruhm war dennoch nicht verblasst, entsprechend würdigte ihn seine Heimatstadt zum 60. Geburtstag 1926 als „echten Volksmusiker“. Seine musikalische Sprache brachte indes eher das Lebensgefühl des kaiserlichen Berlins zum Ausdruck. Dies nutzten die neuen, nationalsozialistischen Machthaber ab 1933 und vereinnahmten Lincke für ihre Vorstellungen von UnterhaltungskunstAm 16. Mai 1935 wurde „Frau Luna“ im seit 1934 so genannten „Theater des Volkes“ (dem später in Friedrichstadtpalast umbenannten Großen Schauspielhaus) inszeniert. Aus der zweiaktigen Operette war eine Revue in neun Bildern geworden, die eine außergewöhnliche Szenerie bot: Inmitten einer Wolkenprojektion stieg ein Flugzeug von der Bühne zum Mond auf.                              

Ein Jahr später zog diese Mondrevue, für die kleinere Bühne entsprechend bearbeitet, in den Admiralspalast, das Revue-Theater am Bahnhof Friedrichstraße. Dort wurde Paul Lincke mit einer öffentlichen Festveranstaltung zum 70. Geburtstag geehrt. Das Publikum erlebte einen Rausch von Farben und Licht mit Tanzeinlagen der Admirals-Girls, die über Milchstraße und Mondkrater hüpften. Mit revuehaft prächtigen Bühnenbildern gelang unter der musikalischen Leitung des Komponisten eine brillante Aufführung.

Walter Jankuhn als „Prinz Sternschnuppe“ in Paul Linckes Revue „Frau Luna“ im Berliner Admirals-Palast, 1936 © Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Friedhelm Hoffmann

Glänzend besetzt war die Rolle des „Prinzen Sternschnuppe“ mit dem Tenor Walter Jankuhn (1888 – 1953), einem heute weitgehend vergessenen Künstler, dessen Nachlass 2015 dem Stadtmuseum Berlin übergeben wurde. Er galt seit den 1920er Jahren nicht nur als einer der großen Operettenstars in Deutschland, sondern auch als vielseitiger Berliner Revue-Künstler. Von 1925 bis 1930 gehörte er neben Fritzi Massary zum Ensemble der legendären Revuen, die der Schauspieler und Regisseur Erik Charell (1894 – 1974) am Großen Schauspielhaus inszeniert hatte. In „Frau Luna“ strahlte der Sänger mit seinen 48 Jahren immer noch jugendlichen Charme aus und spielte seine Rolle als verführerischer Prinz Sternschnuppe im Admiralspalast mit Leichtigkeit und Eleganz.

Die Aufführungs-Serie von „Frau Luna“ setzte sich 1941 mit einer Festvorstellung im „Theater des Volkes“ am Vorabend von Paul Linckes 75. Geburtstag fort. Propagandaminister Joseph Goebbels (1897 – 1945) würdigte den Komponisten mit einem Ehren-Taktstock aus Elfenbein, Paul Lincke wurde zum Ehrenbürger Berlins ernannt. Als Geschenk der Organisation „Kraft durch Freude“ wurde ihm ein Gutschein für einen „KdF-Wagen“ überreicht, den er – genau wie Hunterttausende von „Volkswagensparern“ im NS-Reich – nie erhalten hat.

Paul Lincke in seiner Wohnung in der Kreuzberger Oranienstraße 64, Berlin, um 1936 © Stadtmuseum Berlin | Reproduktion: Friedhelm Hoffmann

Das Ende in der Fremde

Im Juli 1943 folgte er einer Einladung ins böhmische Marienbad, um dort eine Aufführung von „Frau Luna“ zu dirigieren. Während dieses Aufenthaltes wurde sein Berliner Wohnhaus bei einem Bombenangriff zerstört. Das Kriegsende erlebte Lincke fern von Berlin. 1946 erreichte er über Franken die Stadt Hahnenklee im niedersächsischen Oberharz. Zu dieser Reise hatte ihm ein US-amerikanischer General verholfen, der seinen „Glow worm“ kannte – jenen Evergreen, der Linckes Weltruhm 1902 begründet hatte. Seine Heimatstadt Berlin, die nun von den Alliierten besetzt war, sah Lincke nicht wieder. Er starb am 3. September 1946 – einen Tag, bevor die ersehnte Zuzugsgenehmigung eintraf. 

Als echter Berliner, der die Lebensart der Stadt mit Witz und Humor verkörperte, bewahrte sich Paul Lincke trotz aller Popularität stets seine Einfachheit, wie ein Musikkritiker um 1910 schrieb: „Ein bißchen hübsch angezogen, ein Fünfpfennigskat, ein solider Schweinebraten bei Muttern, na, und die süßen, kleinen Mägdelein nicht zu vergessen: Das sind bis auf den heutigen Tag so seine Vergnügungen. Darum hat ihn auch jeder gern. Und man nennt ihn zärtlich: ‚Paulchen.‘ Paulchen: Sagt das nicht alles?“

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Anne Franzkowiak

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