Die Plock-Bibel

Das ungewöhnliche Tagebuch des Seidenstickers Hans Plock

 

Sie wurde beklebt, bemalt und beschrieben: Die Luther-Bibel des Seidenstickers Hans Plock (1490-1570) dokumentiert in ungewöhnlicher Weise die Zeit der Reformation und den offenen Umgang mit Heiligtümern. Einblick in die schillernde Geschichte eines der ältesten Objekte des Stadtmuseums Berlin.

Im Inventareintrag Nr. 382 des Märkischen Provinzialmuseums vom Dezember 1876 heißt es schlicht:

Biblia großfolio, in 2 Bänden, mit geprägtem Leder überzogene, mit Messingecken beschlagene Holzdeckel, viele eingedruckte Illustrationen, mit Bild des Kurfürsten von Sachsen, eingeschriebenen Randbemerkungen, auch Abschriften einiger Lutherscher Briefe Pp. [und als Notiz auf dem Rand] etwas später angebrachten Ergänzungen.

Die Beschreibung verrät nur wenig über das komplexe Objekt und seine Bedeutung, denn: Diese Bibel ist weltweit einzigartig. Ihr Besitzer Hans Plock (1490-1570) – tief in seiner Zeit verwurzelt und zugleich laientheologisch ambitioniert – gibt auf ihren Seiten einen Abriss seiner politisch-biografischen Erfahrungen sowie seiner privaten Glaubens- und Weltsicht.

Die Grünewald-Zeichnung „Höhnender Pharisäer“ schnitt Plock aus und klebte sie zwischen die Schrifttafeln. © Stadtmuseum Berlin

Seidensticker am Hof des Kardinals

Wer war dieser Hans Plock? Fast alles, was von ihm bekannt ist, hat er in seiner Bibel selbst aufgeschrieben oder mit seinen Aufzeichnungen hinterlassen. Um 1490 in Mainz geboren, machte er, vermutlich ebenfalls dort, eine Lehre zum Seidensticker. Seine Gesellenzeit aber verbrachte er von 1509 bis 1512 in Trier. Schon 1515 dürfte Plock die Meisterwürde erlangt und am Hof des Mainzer Erzbischofs Albrechts von Brandenburg (1490 –1545) Anstellung gefunden haben. Ein vom Kardinal an Plock verliehenes Wappen deutet darauf hin.

Dem Brandenburger Hohenzoller Albrecht war als jüngerem Bruder von Kurfürst Joachim I. eine kirchliche Laufbahn zugedacht gewesen. Für seine geschickte Ämterhäufung, seinen Kunstsinn und seine Prunksucht bekannt, krönte Albrecht diese Karriere 1518 mit der Kardinalswürde und stieg damit zum einflussreichsten Amtsträger der Römisch-Katholischen Kirche nördlich der Alpen auf. Zusammen mit dem Maler Matthias Grünewald (um 1480 – um 1530) muss der Kunststicker Hans Plock zu seinem engsten Gefolge gezählt haben. Wie eng das Verhältnis gewesen ist, zeigt, dass Albrecht beide sogar zu den Krönungsfeierlichkeiten Kaiser Karls V. nach Aachen mitnahm, und Plock dem Kirchenfürsten dann 1521 auch an dessen Lieblingsresidenz, die Moritzburg in Halle an der Saale folgte.

Neben der prachtvoll geschmückten Amtskleidung des Kardinals fertigte er dort vor allem für dessen berühmte Reliquiensammlung, das Hallesche Heilthum, kostbar bestickte Behältnisse, so genannte Reliquiare an. In seiner Bibel schrieb er später: „Item [ebenfalls, Anm. d. Red.] ich hab i[h]m ein Bischofshut gemacht, der kost ob hundert dausent Gulden on die andern Bischofshüth, und ist gewis, dass kein thumb- oder state Kirchen in allem teutschland also köstlich gezieret und gschmückt sei gewesen als die Kirche zu halle...“

Befreiung vom Katholizismus

Vielleicht als einen ersten Schritt der Loslösung von seinem katholischen Arbeitgeber, ließ sich Plock 1525 ins Bürgerbuch der Stadt Halle eintragen und kaufte sich ein Haus. Auch Grünewald nahm offenbar Abstand von Albrecht und beendete 1526 sogar seinen Dienst an dessen Hof. Von der Stadt Halle mit der Konstruktion einer „Wasserkunst“ beauftragt, hatte er die letzten Monate vor seinem Tod 1528 zeitweilig auch im Hause Plock gewohnt.

Plock selbst blieb wohl noch ein paar Jahre am Hof tätig, denn für 1532 ist eine Reise nach Antwerpen verbrieft. Dort sollte Plock im Auftrag Albrechts Perlen, Edelsteine und Textilschmuck einkaufen. Doch lange, bevor der Kardinal 1541 nach 27-jähriger Residenz von der Moritzburg vertrieben wurde, hatten sich auch Hans Plocks Wege von denen des Kardinals getrennt. Mit Albrechts Flucht aus Halle 1541 konnte nun auch hier die Reformation Einzug halten. Im selben Jahr erwarb Plock die zweibändige Luther-Bibel. Sie ist die letzte von Martin Luther persönlich bearbeitete Ausgabe.

Titelblatt Plock-Bibel
Titelblatt mit handschriftlichen Notizen Plocks, gewidmet dem sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich © Stadtmuseum Berlin

Die Hausbibel als reformatorisches Heiligtum

In diese Bibel hat Plock im Laufe seines weiteren Lebens 11 Zeichnungen, 26 Kupferstiche, 10 Holzschnitte geklebt. Er schmückte, verband oder gewichtete diese Kunstwerke eigenhändig mit dekorativem Rahmenwerk, Schriftbändern oder anderen Kalligraphien. Dem Zufall überließ Plock bei alldem nichts: Er färbte nicht nur die Illustrationen und Initialen des eigentlichen Bibeldrucks selbst. Auch viele der eingeklebten Werke berühmter Zeitgenossen, darunter neben Grünewald auch Martin Schongauer (um 1450–1491), Albrecht Dürer (1471–1528) und Lucas Cranach der Ältere (1472–1553) wurden von seiner Hand kreativ bearbeitet und gestaltet.

Manche seiner Collagen oder durch Malerei ergänzten Bilder zeigen den routinierten Kunsthandwerker, der sich hier aber – bewusst oder unbewusst – mit sicherem Schritt auf Neuland bewegt: Denn die Collagetechnik gehörte zu Plocks Lebzeiten noch nicht zu den traditionellen, künstlerischen Ausdrucksformen. So naheliegend wie bemerkenswert ist, dass sich Hans Plock genauso selbstverständlich, wie er für die Gestaltung seiner Bibel auf zeitgenössische Kunstwerke zurückgriff, auch beim Formenschatz seiner früheren Arbeit an den Reliquienbehältnissen für den katholischen Kardinal bediente.

Fingerzeige, Randnotizen, Schriftbänder – eine ganze Hierarchie von Bedeutungsebenen © Stadtmuseum Berlin

Einzelne Motive erhob er genauso zu heiligen Bildern, wie er auch seine Bibel als eine Art reformatorisches Heiligtum inszenierte. Aber nicht nur an mittelalterlichen Bilderkult erinnern Plocks Gestaltungen. Sie kommen dem heutigen Fan-Kult nah. Aus Sicht der Reformationsepoche mit ihrer Überlagerung von neuer Lehre und alter Praxis ist dieser im Katholizismus verwurzelte Bilderkult nicht ungewöhnlich. Das scheint aus heutiger Sicht überraschend.

Kommentiert und collagiert – ein Leben lang

Bis zu seinem Tod im Jahr 1570, also fast 30 Jahre lang, hat Hans Plock mit seiner Bibel gelebt. Neben seinen zahllosen Randbemerkungen fügte er auch umfangreiche Kommentare zu den theologischen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen seiner Zeit hinzu. Er zeichnete persönliche Erinnerungen auf und nahm in langen Kommentaren zu vergangenen oder ganz aktuellen, politischen Geschehnissen Stellung. Anders, als man erwarten könnte, besteht der wichtigste, kulturgeschichtliche Reichtum der Plock-Bibel nicht in den eingeklebten Kunstwerken, sondern in der immensen Fülle dieser handschriftlichen Eintragungen.

Seine zahllosen, locker hingezeichneten Fingerzeige an den Rändern der Druckspalten, seine Unterstreichungen und handschriftlichen Vermerke zeigen anhand der wechselnden Tinten und der alternden Handschrift, wie oft er sich immer wieder auch mit einzelnen Passagen des Bibeltextes befasste. Dabei richtete sich Plocks Umgang mit seiner Bibel nicht an Außenstehende, sondern bleibt privat und persönlich. Auch wenn Hans Plock in all diesen Fragen nur einer unter vielen Gleichgesinnten gewesen sein mag – mit seiner Bibel hat er ein Dokument geschaffen, das einzigartige Einblicke in das Leben und Denken seiner Zeit überliefert.

Wie die Bibel ans Museum kam

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Albrecht Henkys

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