Jeanne Mammen (1890 – 1976)

Die neue Frau

Jeanne Mammen gehört mit ihren Bildern der 1920er Jahre zu den bekanntesten Berliner Malerinnen und Grafikerinnen. Während des NS-Regimes und in der Nachkriegszeit ging die kompromisslose Künstlerin neue Wege, doch sie blieb sich dabei treu.

Ein freies Künstlerleben

Am 21. November 1890 als Gertrud Johanna Louise in Berlin geboren, wächst  Jeanne Mammen in der französischen Metropole Paris auf. Hier kann sich die Tochter einer gut situierten, liberal gesinnten Kaufmannsfamilie in gesicherten Verhältnissen frei nach ihren Neigungen entfalten: Schon vom frühen Kindesalter an begeistert sich das Mädchen für das Malen und Zeichnen. Auch nach dem Abschluss der Schule kommt für die junge Frau nichts anderes als die Kunst in Frage. Gemeinsam mit ihrer Schwester Marie Louise, genannt „Mimi“, studiert Jeanne Mammen in Paris, in Brüssel und in Rom Malerei und Grafik.

Die Eltern unterstützen die künstlerischen Ambitionen ihrer Töchter.  Der Erste Weltkrieg bereitet  ihrem sorgenfreien Leben jedoch ein jähes Ende. Als „feindliche Ausländer“ werden Jeanne und ihre Familie enteignet und zur Flucht gezwungen. Über die Niederlande fliehen sie nach Deutschland und kehren – nunmehr mittellos – nach Berlin zurück.

Jeanne Mammen, Selbstbildnis, 1926 © Stadtmuseum Berlin

Heimkehr in die Fremde

Für Jeanne Mammen ist es eine Rückkehr in ein fremdes Land. Nach dem zwanglosen Künstlerleben an der Seine empfindet sie den wilhelminischen Untertanengeist und das preußische Spießbürgertum als Schock. Dennoch stürzt sie sich nach dem Krieg geradezu in das brodelnde Leben der Stadt.  1920 bezieht sie gemeinsam mit der Schwester ein Wohnatelier am Kurfürstendamm 29 und  arbeitet als Zeichnerin für verschiedene Zeitschriften und Magazine. Mit spitzer Feder begibt sie sich auf ihren nächtlichen Streifzügen an zwielichtige Orte des großstädtischen Dschungels, die selbst von ihren männlichen Kollegen gemieden werden.

Anders als die meisten ihrer Zunft kann Jeanne Mammen von ihrer künstlerischen Arbeit leben. So wird sie mit ihren Milieuschilderungen aus den Cafés und Clubs, den Tanz- und Travestie-Etablissements, den zahllosen Kneipen und den Straßen von Berlin zur Bildberichterstatterin der wilden 1920er Jahre. In leichtem Pinselstrich und unverwechselbaren Farben verewigt sie Licht- und Schattengestalten. Sie skizziert dabei zugleich das Bild der „neuen Frau“, die sich nicht nur zum männlichen Geschlecht hingezogen fühlt. 

„Condition humaine“, Jeanne Mammen, um 1939 © Stadtmuseum Berlin

Künstlerischer Protest

Jeanne Mammen wird zur hoch geschätzten Künstlerin, ihre erste Einzelausstellung 1930 in der Galerie Gurlitt ein voller Erfolg. Doch nur drei Jahre später ist es damit vorbei: Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten werden die meisten Illustrierten, für die sie arbeitet, verboten. Denen, die sich gleichschalten lassen wollen, kündigt Mammen die Mitarbeit auf. In der Malerei vollzieht sie einen jähen Stilwechsel: Demonstrativ wendet sie sich der vom NS-Regime als „entartet“ gebrandmarkten abstrakten Kunst zu. Für ihre Karriere bedeutet dies das Aus.

Zurückgezogen widmet sie sich ihrer Kunst nun im Verborgenen, während sie ihren Lebensunterhalt mit verschiedenen Gelegenheitsarbeiten bestreiten muss. In ihrem Hinterhausatelier am Kurfürstendamm, das trotz schwerer Bombenschäden in der Umgebung weitgehend vom Krieg verschont bleibt, malt, zeichnet, modelliert sie und experimentiert mit unterschiedlichen Materialien. 

Das Spätwerk einer Unbeugsamen

Nach Kriegsende kann Jeanne Mammen ihre Kunst endlich wieder öffentlich ausstellen. Schon im Juli 1945 sind ihre Werke im Rahmen einer der ersten Berliner Kunstausstellungen nach dem Krieg zu sehen, die in der Steglitzer Kamillenstraße unter dem Titel „Nach 12 Jahren. Antifaschistische Maler und Bildhauer stellen aus“ zu sehen ist. In der „Allgemeinen deutschen Kunstausstellung“ 1946 in Dresden ist sie ebenfalls vertreten. 1947 richtet ihr die Galerie Rosen, eine der ersten Kunstgalerien Nachkriegsdeutschlands, eine Einzelausstellung aus.

Portrait von Jeanne Mammen, 1975 © Jeanne-Mammen-Stiftung | Foto: Gerd Ladewig

Auch für Zeitschriften arbeitet sie nun wieder, wenngleich in weit geringerem Umfang als in den zwanziger Jahren. Von 1949 bis 1950 entwirft die Künstlerin Bühnenbilder und Kostüme für das dadaistische Kabarett „Die Badewanne“ und später für die „Quallenpeitsche“. Doch ihre Präsenz bleibt auf den Freundeskreis beschränkt. Privat scheut Jeanne Mammen die Öffentlichkeit. „Mit Berlin habe ich mich niemals versöhnt“, sagt sie in späten Lebensjahren. „Ich finde es heute noch scheußlich. […] Die ganze Art der Leute ist mir fremd.“

Ihre Bilder, die sich kritisch mit dem aktuellen Zeitgeschehen auseinandersetzen, malt sie für sich selbst und nicht für einen Markt. Erst in den 1970er Jahren, als man die Werke aus der Zeit der Weimarer Republik wiederzuentdecken beginnt, erfährt auch Jeanne Mammen eine erneute Würdigung. Am 22. April 1976 stirbt sie in Berlin.

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